Predigt von Bischof Christian Stäblein am 15.03.2020

Rundfunkpredigt aus der St. Marienkirche in Berlin am Sonntag Okuli 15. März 2020

Liebe Gemeinde, hier in der Kirche ja nun nicht mehr, aber dafür vermutlich umso mehr zu Hause oder wo auch immer, im Auto, am Radio, liebe Berlinerinnern und Berliner, Menschen in Brandenburg, liebe Schwestern und Brüder, Große und Kleine, Junge und Ältere, liebe Hörerinnen und Hörer, unter den biblischen Texten für den heutigen Sonntag findet sich ein Wort, das passt als wäre es für diese Tage geschrieben. Und doch ist es schon gut 1900 Jahre alt. Es steht im Neuen Testament, im ersten Brief des Petrus und lautet: Umgürtet eure Lenden und stärkt euren Verstand, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die auf euch zukommt in der Offenbarung Jesu Christi.

Liebe Hörerinnen und Hörer, das ist ja nun genau das, was wir dieser Tage tun, aufgerufen sind zu tun, tun wollen: den Verstand stärken, nüchtern sein, die Lenden gürten, was ja so viel meint wie: gerade Haltung einnehmen, bereit sein, nicht wackeln, nicht unklar sein, fest, standfest. Sind wir bereit? Diese Frage prangt auf dem Wochenmagazin DER SPIEGEL, gestern, hält uns, der Gesellschaft den Spiegel vor. Und ich meine, wir können uns in die Augen schauen und sagen: wir sind es. Der Verstand gestärkt und zugleich nüchtern: was zu tun ist, um die Infektionsketten von Covid-19 zu unterbrechen, wird getan. Es hat inzwischen wohl auch den letzten in unserem Miteinander erreicht: im Moment ist Augenbegrüßung und Zulächeln statt Händeschütteln angesagt, Abstand ist die derzeit richtige Form der Nähe, die beste Solidarität, Schule macht Pause wie der Sport, der uns sonst in unserem Alltag begleitet und füllt, Theater machen Pause und ja, auch die kirchlichen Feiern schicken sich ins Abstandsgebot. Ganz nüchtern tun wir das, gestärkt im Verstand – ich verstehe nach den letzten Tagen so viel mehr von Pandemie und Virologie und den Ausbreitungsformen, dass ich das alles gut nachvollziehen kann, und, das will ich einmal deutlich sagen: ich bin den Medizinerinnen und Medizinern, allen, die pflegen und sorgen, so dankbar dafür, dass wir diese Dinge heute alle wissen und achten können, dass der medizinische Verstand so gestärkt worden ist in den letzten Jahrzehnten, dass wir nüchtern da drauf gucken können. Eine große Gabe das. Und ein Dank allen, die sich so unermüdlich einsetzen in diesen Tagen!

Und ebenso nüchtern und also gestärkt sagen wir, sage ich: nicht wackeln, fest, klar in der Haltung sein: es geht als erstes um die, die den Schutz der Gemeinschaft am meisten brauchen, die, die dem Virus als erste und schwächste ausgeliefert wären. Ihnen gelten unsere Augen, unsere Liebe, unsere Fürsorge, so hat sich der Glaube immer gegürtet, so gürten die Augen des Glaubens auch jetzt: Hingucken, wo Menschen uns brauchen, nicht allein lassen, ansprechbar sein, da sein. Hashtag Wirsindda heißt die Plattform, die wir als Kirche im Internet auf Twitter eingerichtet haben, das ist die moderne Variante des Beieinanderseins, die gilt es jetzt, gerade jetzt gut zu nutzen. Aber auch ohne Hashtag: Kirchengemeinden in Land und Stadt sind das verständige, das starke, das fürsorgende Netzwerk für alle, die danach suchen.

Stärkt euren Verstand, seid nüchtern – ach, der Glaube kennt ja eine herrliche Stärkung des anderen, eine Form sich nahe zu sein ohne körperliche Berührung, die gehört zu den schönsten Weisen: das Beten, das Beten für jemand anders. Gott, stärke meine Nachbarin, meinen Nachbarn. Gott, sei bei den Sorgen des Freundes, der Freundin. Hilf beim Aushalten. Gott, gib dem, der auf der Intensivstation pflegt und sorgt, Kraft, für die Nacht und den nächsten Tag. Gott, sei da und hilf, dass wir da sein können, dass wir da sind. So nüchtern. So gestärkt. So lasst uns in die Tage schauen. Von Gott bereitet. Wir sind da, bereit für den Nächsten.

Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Gemeinde, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi, seid gegürtet und stark im verständigen Hören, heißt es im Brief des Petrus im Neuen Testament.

Wie wird man stark in der Haltung, was trägt, wenn aber doch auch die Angst ist und immer mal wieder kommt, nur zu verständlich, auch bei mir? Vor gut drei Monaten durfte ich beim Adventssingen von Union Berlin dabei sein. Die Lieder sind mir immer noch im Ohr. Und auch, dass so viele andere Fußballklubs das auch angefangen haben: Adventslieder singen. Und dabei ja auch das singen, was einen zusammen bringt und zusammen hält. You’ll never walk alone etwa. Oder: Wir sind Unioner. Was ja ganz wörtlich heißt: wir gehören zusammen. Wir sind eins – als Menschen, die leben, lieben und sterben, die in all dem zusammen gehören. You’ll never walk alone, ob Union-Anhängerin oder nicht, ob sportbegeistert oder nicht. Wir sind eins als Menschen. Das trägt auch jetzt, wo der Fußball ruht, das ist im Ohr.

Wie wird man stark in der Haltung, wenn doch aber auch die Angst ist und immer mal wieder kommt, nur zu verständlich, dass sie das tut, auch bei mir? Vor 1900 Jahren schreibt einer: setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die in Jesus Christus ist. Petrus schreibt von Menschen und für Menschen, die damals in ziemlich üblen Umständen lebten, verfolgt, die Gottesdienste fanden zum Teil an geheimen Orten und nicht selten in Katakomben, also bei den Grabstätten statt. Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade in Jesus Christus, das war ein Wort damals vielfach in dunklen Höhlen und zwischen kalten Steinen gesprochen, aber so, dass es sie zusammen gebracht und frei gemacht hat. Und so, dass es bis heute trägt, wenn wir davon reden. Weil? Weil es davon erzählt, dass Gott mitgeht, gerade im Widrigen, gerade im Schweren. Jedes Lied, das wir hier singen, erzählt davon. You’ll never walk alone in himmlischer Sprache gewissermaßen. Ihr seid in Union mit Gott, wir sind es alle. Gerade in Quarantäne, Angst oder Krankheit. Gesungen vielleicht von Balkon zu Balkon, von Fenster zu Fenster, wie jüngst in Italien, immer ist da seine Gnade.

Das klingt jetzt dicke und groß und ein wenig pathetisch? Gut, dass es so deutlich heute in den Worten im Neuen Testament steht: seid nüchtern, seid in all dem nüchtern. Wir Christinnen und Christen sind nicht angstfreier, nicht besser, oft auch nicht mutiger als andere, nein, nur: da ist immer die Hoffnung und die Gnade, da ist immer Jesus Christus mit dabei. Das singen wir mit jedem Lied für die Welt. Das mag nun tragen in diesen Wochen, in denen wir über die Medien miteinander singen, über Fernsehen, Rundfunk, Youtube, Internet – manchmal krächzend über Verstärker und jedenfalls in gebührendem Abstand. Aber doch nicht allein. Niemals, darauf setzen wir, davon leben wir, darauf schauen wir.

Und es mag erst recht da tragen, wo jemand krank ist, wo jemand stirbt. Komm, ich sing Dir das Lied von der Hoffnung und von der Gnade, die weit über den Tod geht. Da, erst recht da erwartet uns Union, eins sein mit Gott. Never alone.

Liebe Hörerinnen und Hörer, ach ja, bereit sein, gegürtet sein, nüchtern, verständig auf die Hoffnung. Ach, das macht frei. Weil ich jetzt nicht als erstes auf mich gucken muss. Ein anderer guckt schon. Ich muss nicht hamstern, das forciert nur die Angst. Ich bin frei – für Angstpausen, für Ferien von der Angst. Für Spielen mit den Kindern. Für Anrufen bei den Eltern. Für Denken an die draußen, die kein Dach haben. Für Klopfen bei der Nachbarin, die allein ist. Ach, so viele in Berlin und auch in Brandenburg und darüber hinaus. Für Helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Mit Gucken, ob jemand nicht aus dem Ausland zurück kann und jetzt hier fehlt. Hören, wo Kurzarbeit droht.

Ach, frei macht die Hoffnung, die auf Gott setzt. Für ein gutes Buch. Für Üben der Lieder, die ich nicht vergessen will. Fürs Beten, ach, und für anpacken, wo nötig. Und ja, frei für beruhigen, wo jemand durchdreht. Für Erzählen ruhig jetzt schon: in ein paar Wochen oder Monaten wird es anders sein. Wir werden andere geworden sein, gestärkt im Füreinander. Und zugleich die, die Gott bereitet, gürtet. Ach, gürtet. Das Bild vom Gürtel zielt auf unsere, meine Haltung. Habe ich die immer, gelingt sie mir? Ach, ich bitte darum. Ach – ach ist ja wohl das kürzeste Gebet. Meint ja eigentlich: ach, Du, Gott. Ach, Du, gut, dass Du da bist. In unserer Sorge. In unserem Sorgen. In unserem Nüchtern sein. In allem, was kommt. Du kommst und stärkst uns. Ach, Gott, sei bei denen, an die wir jetzt denken. Ach. Ach, Du. Amen.

#wirsindda